Die Magie des Gebens und die Bedeutung der Balance: Warum Schenken beglückender ist als Nehmen und wir das alle öfter tun sollten.
20.12.2024 - By Ursula Neubauer
Wenn man möchte, so könnte man »Geben« als eine Art Kunstform bezeichnen, die manche so richtig zelebrieren. Und eine, die in jedem Fall mehr bedeutet als ein- oder zweimal im Jahr ein Geschenk zu besorgen. Es ist ein Ausdruck der Verbundenheit zu anderen Menschen und gleichzeitig eine Brücke zu unseren innersten Werten und Haltungen.
Psychotherapeutin Alexandra Fuchs aus Tirol erklärt: »In unserem täglichen Leben spiegeln sich unsere Gefühle und Werte wider. Unsere inneren Bilder und Vorstellungen leiten uns in unserem Denken, Fühlen und Handeln. Auch in Sachen Beziehungsgestaltung und wenn es ums Geben oder Nehmen geht.« Der Schlüssel zu einem erfüllenden Geben heißt in jedem Fall: Balance.
Die Freude des Gebens
Zahlreiche Studien zeigen, dass Menschen, die großzügig sind oder sich so verhalten, oft gesünder und zufriedener sind. Die Idee des »sozialen Gehirns« – also unsere Fähigkeit, soziale Bindungen zu pflegen – beschreibt, wie tief das Bedürfnis, jemandem etwas Gutes zu tun, in unserer Natur verankert zu sein scheint. Geben löst in uns Zufriedenheit aus und kann uns mit Sinn erfüllen.
Dieses »Geben« kann viele Gesichter haben – ein materielles Geschenk, ein offenes Ohr, eine liebevolle Geste, ein wohlwollendes Wort, gemeinsame Zeit, praktische Unterstützung und so weiter. Wer sich übrigens vornimmt, jemand anderem eine Freude zu machen, hat noch mehr davon, wenn sie oder er sich das sehr konkret überlegt, zeigt eine Studie, die im Journal of Experimental Social Psychology veröffentlicht wurde. Menschen empfinden mehr Erfüllung, wenn sie sich konkret vornehmen, etwa eine Person zum Lächeln zu bringen, als wenn sie nur allgemein »jemanden glücklich machen« möchten.
Geben, ohne sich selbst zu verlieren
»Geben ist oft mit mehr Freiheit verbunden als das Nehmen«, sagt Alexandra Fuchs. »Das Nehmen kann mit einem Schuldgefühl behaftet sein – das Gefühl, etwas zurückgeben zu müssen. Hingegen wird das Geben oft als befreiend empfunden, wenn wir uns dabei zu nichts verpflichtet fühlen.«
Dieses Erleben von Zufriedenheit sei jedoch nur möglich, wenn wir selbst in
einem kraftvollen Zustand sind. Sonst kann das Geben aus einer Notwendigkeit heraus, geliebt oder anerkannt zu werden, irgendwann zu Erschöpfung führen.
"Das klassische Beispiel sind Menschen, die sich aufopfern"
erklärt die Psychotherapeutin. »Irgendwann stellen sie fest, dass sie keine Energie mehr haben, und sie fühlen sich ausgelaugt.« Eine der größten Herausforderungen beim Geben ist also, gut auf den Ausgleich zu achten. »Wenn ich gut bei mir bin und mit mir selbst in Beziehung und dann aus einer Fülle agiere, kann das langfristig sehr bereichern«, erklärt die Therapeutin. Welche Art des Gebens oder des Nehmens man praktiziert, darauf deuten innere Dialoge hin: Spielen Gedanken wie »Ich muss dieses oder jenes tun, damit ich Aufmerksamkeit oder Zuwendung bekomme« oder »Ich habe das Gute nicht verdient« in meinem Kopf eine Rolle, darf ich achtsam werden und überprüfen, ob meine Balance zwischen Geben und Nehmen stimmt.
Die »Kunst des Gebens«
»Vor allem, wenn wir lieben, sind wir in der Beziehungsgestaltung oft bereit, selbstlos zu sein«, erklärt Fuchs. Auf oben genannte innere Dialoge zu achten, kann deshalb auch helfen, meine Rolle innerhalb einer Partnerschaft zu erkennen und eventuell zu verändern.
Und einen weiteren Punkt, auf den wir achten sollten, nennt Alexandra Fuchs: »Menschen neigen manchmal dazu, in Partnerschaften eine bestimmte Erwartungshaltung zu entwickeln: nämlich, dass die Partnerin oder der Partner alle Bedürfnisse erfüllt. Oder dass, wenn ich ihr oder ihm etwas Gutes tue, ich das direkt zurückbekomme. Das ist aber leider oft unrealistisch und führt zu Enttäuschungen. Gelingt es uns, diesen Erwartungshorizont zu öffnen, hat das positive Auswirkungen. Auch Freundschaften, Familie und andere soziale Beziehungen können nämlich Quellen der Erfüllung und des Ausgleichs sein«, erklärt Fuchs. Die wahre Kunst des Gebens scheint also eigentlich in der Kunst der Balance zwischen Geben und Empfangen zu liegen.
Alexandra Fuchs ist Psychotherapeutin in Tirol mit einer eigenen Praxis in Innsbruck und Telfs.
therapie-fuchs.at